Immer auf der Suche
Ein Text von Eugen Bänziger über sich selbst und sein Schaffen, über das Malen und über das Schreiben
s_313.jpg   Als Kind habe ich wenig gezeichnet – zu Hause war man aufs Ueberleben bedacht; kurz nach dem Krieg war kaum etwas wie Kunst-Bewusstsein vorhanden. Als Primar- und Sekundarschüler hatte ich keine Zeit zum Zeichnen, da ich nach der Schule arbeiten musste. Erst in der Mittelschule kannte ich bewusst freie Zeit – hier beginnen denn auch meine ersten schöpferischen Versuche. Ich schrieb poetische, romantische und rüpelhafte Texte, begann einen Roman und spielte Klarinette in einer Jazzband.

Schreiben und Musikmachen versickerten für Jahre, als ich 1957 zu malen begann. Ich habe neben meinem Beruf als Lehrer genug Zeit gefunden, um mich langsam als Maler autodidaktisch entwickeln zu können. Meine erste Einzelausstellung mit Oelbildern bestritt ich, als ich noch Schule gab.

Seit ich freischaffender Künstler bin, hat alles ganz andere Ausmasse angenommen: Das Leben, die Freiheit, das Atelier, die Zeit, die Kräfte; auch die Lust, Neues zu lernen. In den elf Jahren freien Schaffens habe ich immer wieder neue Techniken versucht und im bildnerischen Gestalten mehrmals eigene, geglaubte Grenzen verschoben.

 
Mein Verhältnis zur Natur ist elementar und natürlich, obwohl ich in der Stadt lebe. Ein Bild von meinem Verhältnis zur Natur liefert mein Garten vor dem Atelier: Ein Dschungel mit wilden und halbwilden Pflanzen. Vor zehn Jahren war es mein Parkplatz. Ich pickelte den steinharten Boden locker; aus dem Wald und von Flussufern habe ich hin und wieder Samen mitgenommen und hingeworfen. Es ist ein Garten geworden, in dem seither alles von selber kommt – wie das meiste in meinem Schaffen. Mein Atelier gleicht meinem Garten.
 
Seit ich frei arbeite, zeichne ich immer wieder intensiv nach der Natur – und bin immer wieder gepackt vom Reichtum der Formen und Strukturen und entzückt darob, wie Chaotisch-Dschungelhaftes beim geduldigen Hinschauen zum gewachsenen Durch- und Hintereinander wird. In den Zeichnungen und Radierungen versuche ich, diese Art des Erlebens sichtbar werden zu lassen. Solche Werke wachsen langsam, am ehesten vielleicht wie ein Teppich, während Stimmungen und stark farbige Seherlebnisse zu Aquarellen führen. Fluss, Himmel und weisse Wolken; gelbes Feld, Föhre und weisser Berg, sie alle strahlen etwas Magisches aus; sie durchziehen die Malerei ebenso wie die Dichtkunst. Bisher haben mich am meisten arabische Märchen zum farbigen Darstellen gereizt.   s_183.jpg
 
Gemalt habe ich zu eigenen Worten noch nicht; ein eigenes Werk, die „Winterthurer Legende“* habe ich mit Zeichnungen versehen. Doch das sind eher Illustrationen, die nicht das gleiche Gewicht wie die Texte haben sollen.

In der Regel sind Wort und Bild getrennte Welten für mich. Wenn ich schreibe, gehe ich einen Weg oder erzeuge eine Abfolge; beim Malen versuche ich etwas zu schaffen, das im Augenblick der Wahrnehmung als Ganzes auf den Betrachter wirkt.

 
s_441.jpg   Damit ich beim Malen, vor allem bei den Aquarellen, zum Dichten (und zum Verdichten) und zum Fabulieren komme, muss ich mir zuerst eine Art Form-Vokabular ermalen, erzeichnen und erfinden. Grundlage dazu sind die vielen Skizzen, in denen ich ohne eigene Fantasie das Wahrgenommene aufgezeichnet habe. Die Aquarelle entstehen oft in einer ungebundenen Spiel- und Gestaltungsfreude. Ich weiss, dass ich frei umgehen kann mit meinem Zeichnen, ich verwebe Erinnerung und Impression zur Licht-Illusion und bewegtem Farb-Form-Spiel. Zugleich versuche ich Freiraum zu lassen für Schwebendes, für schöne Zufälle (Wasser fliesst launisch), für neue Einfälle und für Archaisch-Undeutbares.

Sind Gelingen und Glück auf meiner Seite, entsteht etwas, das neu ist, das als Ganzes und in den Einzelheiten wirkt oder Ausstrahlung hat und eine ähnliche Wahrheit darstellt wie eine schöne Blume.

 
Ja – mein Erleben, nein, das menschliche Erleben kann unendlich vielfältig sein, wenn man sich nicht einengen und herumbefehlen lässt. Meine gestalterische Vielfältigkeit hat im vielfältigen Erleben ihre Quellen. Dazu kommt, dass ein lebensbejahender und romantischer Teil meines Wesens immer auf der Suche nach neuen oder versunkenen Spielen ist. Ich mag mich nicht in einem Stil einsperren lassen, obwohl mir das vermutlich viel mehr Geld einbringen würde als mein impulsives, oft leidenschaftliches Schaffen und Experimentieren.

Wenn ich Aquarell-Laune habe, lässt mich die fast fertige gute Zeichnung auf der Staffelei völlig kalt. Ich greife zur Feder und beginne zu schreiben, wenn Gedanken mächtiger werden als innere Bilder. Wenn mich Freund Joe mit seinem Gitarrenspiel im Atelier mitreisst, greife ich zur Klarinette; noch lieber als im Atelier unter heisser Sonne oder in warmer Sommernacht an der Thur oder am Rhein – in fast freier Natur.

*Die „Winterthurer Legende“ ist die Geschichte darüber, wie die Löwen ins Stadtwappen der Eulachstadt kamen. Sie entstand 1976 und ist noch in einigen wenigen Exemplaren vorhanden.

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